Von Allen Watson, übersetzt von Birgit Meier.
Dies ist eine Übersetzung des Artikels »A Case of Mistaken Identity«, veröffentlicht beim Circle of Atonement. Er zeigt die verschiedenen Methoden auf, mit dem Ego umzugehen und stellt diesen die Vorgehensweise des Kurses gegenüber. Diese Übersetzung ist vom Autor genehmigt, aber nicht überprüft.
Das Ego ist ein Fall von falsch verstandener Identität. Wir sind der heilige Sohn von GOTT SELBST, aber wir haben dies verleugnet, unser Bewußtsein dessen unterdrückt und es aus unserem Gedächtnis verbannt. Wir haben eine andere Identität gewählt, das Ego, und wir glauben nun, diese angenommene Identität mache das aus, was wir wirklich sind.
Der Prozeß, durch den uns der Kurs führt, kann als langsame »Desidentifizierung« vom Ego angesehen werden, als ein Abtragen der Schichten von Unwahrheit über das, was wir von uns glauben und was wir zu sein meinen. Auf diesem Weg können wir Fehler machen, die diesen Prozeß behindern. Dieser Artikel behandelt das Kernproblem unserer falschen Identifizierung, einige der falschen Lösungen, die wir ausprobieren und die angebrachte Lösung, die der Kurs empfiehlt.
Unser Problem ist die Identifizierung mit dem Ego
Eine der vielen Weisen, wie der Kurs unser wesentliches spirituelles Problem beschreibt, ist, zu sagen, es sei »ein Fehler in Bezug auf ... das, was du wirklich bist« (T-26.VII.11:14). Dies ist eine gute Beschreibung des Ego: »Das Ego ist ein Fehler in Bezug auf das, was wir wirklich sind.«
Unsere wahre IDENTITÄT ist der CHRISTUS, der wahre SOHN GOTTES. Dies hat sich nie geändert. »Die Wahrheit über dich ist so erhaben, daß nichts, was GOTTES unwürdig ist, deiner würdig ist«(T-9.VII.8:4). Wie also kam es dann dazu, daß wir uns mit etwas identifiziert haben, das so viel weniger ist als diese erhabene IDENTITÄT?
Es begann, sagt der Kurs, als wir uns entschieden haben, die uns von Gott gegebene Identität zurückzuweisen, weil dies bedeutet, daß unser Wesen abgeleitet und nicht ursprünglich ist; Gott war unser Schöpfer, und nicht wir. Wir wollten eine neue Identität, die wir selbst erschaffen haben. Dies war natürlich nicht möglich, denn wie könnten wir unser eigener Vater werden? Ungeachtet dessen, daß dies unmöglich ist, glaubten wir, wir hätten es vollbracht.
Durch den gesamten Kurs hindurch finden wir Bezugnahmen auf unsere IDENTITÄT, in Großbuchstaben geschrieben. Diese beziehen sich auf unser wahres SELBST, wie GOTT uns erschaffen hat, ein SELBST, das »unverändert, unveränderlich und unwandelbar«(Ü-I.190.6:5) ist. Wir aber haben die QUELLE unserer Schöpfung verleugnet (H-7.6:4) und versucht, die uns gegebene IDENTITÄT zu verlieren (Ü-II.229.1:5). Wir haben unsere IDENTITÄT verleugnet (Ü-I.191.2:3). Wir haben das Bewußtsein unserer IDENTITÄT verloren (T-18.VI.2:3), sogar vergessen, was unsere IDENTITÄT ist (Ü-I.56.5:3).
Wir haben nicht nur unser wahres SELBST und die Erinnerung daran verloren, sondern auch unsere wahre IDENTITÄT durch ein Selbstbild ersetzt, das wir von uns gemacht haben (Ü-I.56.2:3; Ü- II.283.1:1): das Ego. Dies war ein »schrecklicher Fehler«über uns selbst (B-2.8:1,2). Schlimmer noch, wir haben nicht nur ein Bild von uns gemacht, sondern uns völlig mit dem Ego identifiziert (T-4.III.4:1). Wir waren davon überzeugt, daß wir das Ego sind (T-13.II.1:4). Da gibt es vielleicht einen verborgenen Teil in uns, der nicht immer mit dem Ego übereinstimmt, aber dies gibt uns bestenfalls die Vorstellung, eine irgendwie gespaltene Identität zu haben (Ü-I.97.1:5), zwei »Selbste«, die sich miteinander im Krieg befinden.
Unser Problem ist nicht einfach, daß jeder von uns ein Ego hat, sondern daß wir meinen, wir sind das Ego. Wir identifizieren uns mit ihm. Wenn unser Ego triumphiert, fühlen wir uns gut, wird unser Ego angegriffen, fühlen wir uns schlecht. Tut unser Ego etwas Schlechtes, fühlen wir uns schuldig. Wir sind so sehr gewohnt, uns mit dem Ego zu identifizieren, daß wir sogar versuchen, unser Ego vom Standpunkt des Ego aus zu überwinden. Das ist ein bißchen so, als wollten wir unserer eigenen Beerdigung beiwohnen. Es kann nicht funktionieren.
Die meisten von uns erkennen nicht das Ausmaß unserer Identifizierung mit dem Ego. Viele Schüler des Kurses neigen dazu, das Ego als eine dunkle Macht irgendwo in uns selbst aufzufassen, wobei dieses »Selbst« das ist, was wir wirklich sind. Dieses Bild trifft aber keinesfalls den Kern. Genau das »Selbst«, von dem wir denken, daß wir es sind, diese individuelle Unterscheidung von anderen Individuen, diese »Persönlichkeit« die unseren Namen trägt und unseren Körper bewohnt, dieses »Ich«, das irgendwie vom »Du« getrennt ist – das ist das Ego. Das »Ich«, das scheinbar einen eigenen Willen hat, getrennt und unterschieden von deinem und dem GOTTES – das ist das Ego.
Das Ego ist nicht unser »Selbst«, es ist das Nichtbewußtsein unseres SELBST. Es ist ein Phantasiegebilde, eine Illusion, die den Platz unseres SELBST eingenommen hat, als wir das Bewußtsein SEINER verriegelt haben. Das Ego ist tatsächlich nicht mehr als eine Trennung von unserem wahren SELBST. Es ist nur ein Glaube, ein Gedanke in unserem Geist. Es hat aus sich selbst heraus keinerlei Existenz.
Der Kurs beschäftigt sich sehr ausführlich mit dem Ego, weil wir uns mit ihm identifiziert haben. Die meisten Menschen haben das Ego im Sinn, wenn sie an sich »selbst« denken, und keinesfalls unsere wahre IDENTITÄT. Das Ego existiert jedoch nicht wirklich! »Das Ego ist nichts weiter als ein Teil deiner Überzeugungen über dich«(T-4.VI.1:6) Wir sind reiner Geist. (Ü- I.158.1:2) Es ist nur eine Einbildung, nichts weiter als ein Gedanke in diesem Geist. Es ist ein »Irrtum in deiner Selbsteinschätzung«:
»[Du und das Ego ] begegnet euch bei einem Fehler, einem Irrtum in deiner Selbsteinschätzung. Das Ego verbindet sich mit einer Illusion von dir, die du mit ihm teilst. ... Das Ego verbindet sich mit nichts, da es nichts ist.« (T-23.I.3:4, 5, 9).
Das Ego ist »nichts«. Es hat nicht dieselbe Existenzebene wie unser eigentliches SELBST. Wir sind nicht »zwei Selbste, die miteinander in Konflikt sind« (T-16.III.6:1). Es gibt nur ein SELBST, das andere Selbst, das Ego, hat keinerlei Realität. Wir haben den »...Beweis, daß das Ego niemals war und niemals sein kann«(T-13.I.2:4). Der Abschnitt über das Ego in der »Begriffsbestimmung« am Ende des Handbuchs ist außerordentlich entschieden zu diesem Thema:
»Wo Dunkelheit war, sehen wir jetzt Licht. Was ist das Ego? Das, was die Dunkelheit war. Wo ist das Ego? Dort, wo die Dunkelheit war. Was ist es jetzt, und wo kann es gefunden werden? Nichts und nirgendwo. Jetzt ist das Licht gekommen: Sein Gegenteil ist ohne jede Spur vergangen. Wo Böses war, da ist jetzt Heiligkeit. Was ist das Ego? Das, was das Böse war. Wo ist das Ego? In einem bösen Traum, der nur wirklich schien, während du ihn träumtest. Wo Kreuzigung war, da steht jetzt GOTTES SOHN. Was ist das Ego? Wer braucht zu fragen? Wo ist das Ego? Wer braucht nach einer Illusion zu suchen, jetzt, da Träume vergangen sind?« (B-2.6:1- 18)
Du bist nicht dein Ego
Trotz aller Betonung, die der Kurs auf das Ego legt, auf dessen Beobachtung, auf das Begreifen seiner unredlichen Natur und das Herausstellen seiner verborgenen Strategien, ist er in bezug auf eine Tatsache völlig klar:Du bist nicht dein Ego. Einige Zitate werden genügen:
»... weil das Ego nicht du ist«(Ü-I.25.2:2).
»... daß du kein Ego bist und daß mehr als ein Ego in dir sein muß«(T-14.X.5:5).
»...daß du und dein Ego nicht identisch sein können.« (T-4.VI.3:6).
Dies sollte als eine extrem gute Nachricht bei jedem Schüler des Kurses ankommen, insbesondere nachdem wir begonnen haben, Mord, Wut, Betrug und Boshaftigkeit aufzudecken, die im Herzen unseres eigenen Egos liegen! Die Fähigkeit, zwischen dem Ego und uns selbst zu unterscheiden, ist wesentlich für die Selbst-Vergebung. In einem treffenden Abschnitt erklärt der Text: »Wenn du dich schuldig fühlst, erinnere dich, daß das Ego in der Tat gegen die Gesetze GOTTES verstoßen hat, du aber nicht« (T-4.IV.5:1). Das Ego ist nicht, was du bist! Das Ego ist ein psychologischer Krebs, ein außer Kontrolle geratener Gedanke innerhalb des Geistes. Es definiert dich nicht. Es ist nicht dein SELBST.
Falsche Lösungen
Beim Lesen des Kurses wird der Unterschied zwischen dem, was wir zu sein scheinen, und dem, was der Kurs über uns sagt, zunehmend deutlich. Die Häßlichkeit des Ego wird immer offensichtlicher und wir werden uns unseres Egos bewußter, als wir es jemals zuvor waren. Wir werden immer häufiger mit der Frage konfrontiert: »Was kann ich gegen mein Ego tun?«
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, mit dem Ego »umzugehen«, die einfach nicht funktionieren. So ziemlich jeder von uns verfängt sich irgendwann in den Fallstricken einer oder mehrerer dieser Möglichkeiten. Betrachten wir daher die fünf wichtigsten.
Unterdrückung und Verdrängung
Als ich Ein Kurs in Wundern zum ersten Mal gelesen habe und mit einigen dunkleren Seiten meines Egos und seines Denksystems konfrontiert wurde, war meine erste instinktive Reaktion »Ich doch nicht!« Als der Kurs mir mitteilte, ich glaubte insgeheim daran, den Sohn Gottes gekreuzigt zu haben (T-13.II.5:1), glaubte ich das nicht. Als er sagte, daß meine besondere Liebesbeziehung in Wahrheit auf Haß gegründet sei (T-16.IV.1:3; 3:4), hatte ich große Probleme, dies auf mich zu beziehen. Als er darauf bestand, daß der größte Teil meines Denkens Ego-bestimmt sei, hatte ich das Gefühl, er müsse über jemand anders reden. Ich doch nicht.
Als ich jedoch mit dem Kurs fortfuhr, empfand ich die Beschreibungen des Ego als immer zutreffender. Kleinere Ereignisse begannen mir zu zeigen, wie gut verborgen das Ego in meinem Leben war. Ich erinnere mich an einen Zeitpunkt, als ein Mitschüler des Kurses versuchte, mich zu überzeugen, daß ich mich absichtlich von einer anderen Person distanzierte. Es dauerte drei oder vier Stunden, aber letzlich erkannte ich, daß er recht hatte. Zunächst war ich aber davon überzeugt, daß ich alles tat, um Nähe zu dieser Person herzustellen, und daß die Distanz zwischen uns der Fehler der anderen Person war. Sogar, als ich mit jemandem konfrontiert wurde, der sehr klar das Verhalten meines Egos verdeutlichte, konnte ich es nicht sehen. Ich wurde sogar sehr ärgerlich darüber! Mein Freund sagte mir später, es sei wie Zähneziehen gewesen, mir das begreiflich zu machen, was allen anderen um mich herum völlig offensichtlich war. Ich hatte das Gefühl, die andere Person hätte mich verletzt, ich war ärgerlich, und auf sehr subtile Weise schloß ich sie aus meinem Leben aus, während ich nach außen hin das Bild eines liebevollen Menschen zeigte. Ich glaubte sogar an dieses Bild. Es war eine sehr schwierige Selbsterkenntnis.
Diese Art Verhalten ist bekannt als Verdrängung, und das unvermeidliche Ergebnis von Verdrängung ist Projektion, wie in der Art und Weise beschrieben, auf die ich der anderen Person die Schuld für die Distanz zwischen uns gab. Der Kurs weiß, wie wir unser eigenes Ego vor unserem Bewußtsein zu verstecken suchen. In Rahmen seiner Erörterung der »Gesetze des Chaos« (die Prinzipien zur Kontrolle des Ego-Denksystems) sagt er:
»Du möchtest behaupten und für wahr halten, daß du diesen sinnlosen Gesetzen weder glaubst noch nach ihnen handelst. Wenn du dir ansiehst, was sie besagen, ist ihnen nicht zu glauben. Bruder, und du glaubst doch an sie.« (T-23.II.18:1-3)
Wir haben die eingefleischte Gewohnheit zu verleugnen, daß unsere Egos existieren. Wir werden über jemanden ärgerlich und kehren es sofort unter den Teppich, uns selbst überzeugend, daß wir nicht mehr ärgerlich sind. Doch der Ärger eitert tief in unserem Geist und vergiftet unsere Beziehung. Verleugnung ist nicht die empfehlenswerte Methode, mit dem Ärger umzugehen. Sie bewirkt immer Projektion. Wir werden unglücklich und geben der anderen Person die Schuld für unser Unglücklichsein, bewußt oder unbewußt.
Manchmal geschieht es, wenn Menschen damit beginnen, ihr Ego zu betrachten, daß sie schockiert sind über das, was sie vorfinden. »Ich kann nicht glauben, daß ich so denke!« Ich erinnere mich, wie ich mich eines Tages selbst bei dem Gedanken erwischte, um wieviel es mir besser ginge, wenn eine bestimmte Person bei einem Flugzeugunglück ums Leben käme. Ich war entsetzt über einen derart lieblosen Gedanken. Ich fragte mich, wie solch ein Gedanke in meinem Geist sein konnte, wo ich doch so ein liebevoller Mensch bin. Dieser Eindruck von Überraschtsein, wenn wir das Ego bei seinem Wirken ertappen, ist der beste Beweis für unsere Verdrängung. Der Mörder war immer da, wir haben ihn nur aus unserem Gesichtsfeld verdrängt.
Einige Menschen gehen sogar so weit zu glauben, sie hätten ihr Ego auf wunderbare Weise überwunden; sie glauben, daß sie nicht länger ein Ego besitzen. Das nahezu untrügliche Zeichen, daß dem nicht so ist, ist die Tatsache, daß sie sich ständig bemüßigt fühlen, jedem davon zu erzählen. Üblicherweise hinterläßt dies einen Nimbus von selbstgefälliger, überlegener Rechtschaffenheit. Das Ego wird nicht über Nacht verschwinden, nur weil wir ihm das befehlen, ebensowenig wie ein Löwe aufgibt, weil wir »Husch!« sagen. Es wird zurückschlagen. Und eine der bevorzugten Verteidigungswaffen des Ego ist die Vorspiegelung, es sei nicht mehr da.
Im Kurs wird ständig gebeten, ehrlich auf unser Ego zu schauen, nach »den Resten der Angst in deinem Geist« (T- 4.III.7:5) Ausschau zu halten und nichts zu verbergen. Er führt aus: »Niemand kann Illusionen entrinnen, wenn er sie nicht ansieht, denn durch Nichthinsehen werden sie geschützt.« (T- 11.V.1:1). Wenn wir verleugnen, daß wir ein Ego (oder eine Ego-Reaktion) haben, glauben wir, daß wir sie so loswerden können. In Wirklichkeit schützen wir das Ego, wenn wir das tun, und stellen sicher, daß wir die Reaktionen des Ego beibehalten.
Ein paradoxes Zeichen für den Fortschritt im Kurs ist gegeben, wenn wir uns aller möglichen bösen, mörderischen, aggressiven Gedanken bewußt werden, Gedanken, die wir vorher nicht wahrhaben wollten. Das Ego versucht natürlich, dich zu überzeugen, daß der Kurs dich schlechter macht anstatt besser, daß er mehr Schlechtes als Gutes bewirken wird, damit du mit dem Kurs aufhörst. Aber das ist es nicht, was wirklich geschieht. Das Ego war immer schon da, nur jetzt, im Licht des Kurses, wird es exponiert. Dies ist gut, nicht schlecht. Wenn es nicht exponiert und betrachtet wird, wie dann willst du jemals dem Ego entkommen?
Das Ego abreagieren lassen
Der nächste falsche Weg ist das genaue Gegenteil des ersten. Wenn der Versuch, das Ego zu verleugnen, nicht funktioniert, denken wir, was ist dann das Gegenteil? Und so versuchen wir vielleicht, das Ego sich abreagieren zu lassen. Fühlen wir uns ärgerlich über jemanden, lassen wir dieses Gefühl einfach heraus. Wir geraten in Rage, schreien die Person an oder greifen sie an. Oder wir schreien unsere Wut für uns allein in ein Kissen.
Es mag ein bestimmter Nutzen in dieser Handlungsweise liegen. Der mögliche Nutzeffekt aus dem Herauslassen unseres Ärgers hat drei Aspekte: zunächst ist dies ein ausgezeichneter Weg, um aus der Verdrängung auszubrechen. Zweitens kann es vorübergehend das Ego befriedigen und die Gefühle beruhigen, so daß wir ruhiger weiterarbeiten können. Drittens machen wir uns frei von unserer Angst und unseren Schuldgefühlen unserem Ego gegenüber.
Nach Jahren der Unterdrückung und der Verdrängung kann es gut und notwendig sein, uns der Reaktionen des Ego, die wir versteckt und verdrängt haben, bewußt zu werden. Wenn wir unsere Wut vergraben haben, gibt uns das Herauslassen nur einen erschreckenden Beweis dafür, wie tief und weitreichend sie ist. Doch obwohl es zeitweilig hilfreich sein kann, löst es nicht unser Problem. Es ist tatsächlich nur ein Weg, das Problem bewußt zu machen.
Durch Herauslassen des Ärgers können wir unserem Geist einen zeitweiligen Aufschub vor der Unruhe, die dieser Ärger erzeugt, geben. Wir nehmen damit einigen Druck weg und kommen zu einer ruhigeren Betrachtungsweise. Auch dies ist lediglich eine Vorbereitung für den eigentlichen Prozeß der Selbstheilung.
Der eigentliche Grund für die Verleugnung und Unterdrückung unserer Gefühle ist die Tatsache, daß wir Angst davor haben und uns schuldig dafür fühlen. Das Ausdrücken dieser Gefühle kann ein sehr positives Anzeichen dafür sein, daß wir nun bereit sind, sie anzunehmen und verantwortlich für sie zu sein, sie ohne Angst und Schuld anzuschauen.
Unser Ego auszuagieren heißt jedoch, es zu verstärken anstatt es verschwinden zu lassen. Das Ausleben von Ärger ist ganz eindeutig eine Form von Angriff. Und Angriff ist die Lebensgrundlage des Egos. Viele von uns haben sich, nachdem sie ihren Ärger herausgelassen haben, richtig gut gefühlt, vielleicht sogar befreit. Es fühlt sich wirklich gut an, wenn die Spannung nachläßt; und manchmal haben wir, ganz buchstäblich, den Eindruck, daß ein riesiges Gewicht von unseren Schultern genommen ist. Dieses Gewicht drückt die Sklaverei durch unsere Verleugnung aus, die festen Bänder, die unseren Ärger festgehalten haben. Die Bänder zu zerreißen, fühlt sich gut an, in der Tat. Aber was fühlt sich gut, wenn wir unsere Angriffsgedanken herauslassen? Unser Ego. Diese »guten« Gefühle sind nur eine andere Ebene der Ego-Reaktion. Es ist das »gute« Gefühl des Eroberers, das »gute« Gefühl von jemandem, der dem Feind einen entscheidenden Schlag versetzt hat.
Das Ego auszuleben kann hilfreich sein, wenn es als einleitender Schritt zur tatsächlichen Heilung verstanden wird. Die drei Vorteile, die ich erwähnt habe, - Verdrängung rückgängig machen, unseren Geist beruhigen und Angst und Schuld loslassen - sind allesamt vorbereitend für den wirklichen Heilungsprozeß, der folgendes umfaßt: ehrlich, ruhig und ohne Schuld unsere Egos zu beobachten und sie der Vergebung zu überbringen.
Der Versuch, das Ego zu korrigieren oder es nett zu machen
Nun, wenn wir die Gegenwart des Egos nicht leugnen können, und wenn das Herauslassen aus seinem Käfig nicht wirklich irgend etwas zum Besseren ändert, können wir es vielleicht korrigieren oder nett machen. Vielleicht, zum Beispiel, können wir das Gefühl von Ärger nicht loswerden, aber vielleicht können wir einräumen, daß es da ist und dennoch nicht auf seinem Fundament handeln. In anderen Worten, wir versuchen, das Wilde zu zivilisieren und es dazu zu bringen, sich anständig zu verhalten. Wir versuchen, uns so zu benehmen, wie wir es nach unserer Meinung sollten, ohne das jedoch vollständig zu wollen. Nachdem wir im Kurs gelesen haben: »Ärger ist nie gerechtfertigt« (T-30.VI.1:1), entscheiden wir vielleicht, daß wir nicht ärgerlich sein sollten. So versuchen wir so zu handeln, als seien wir nicht ärgerlich, obwohl wir es sind.
Der Kurs diskutiert diese falsche Lösung kurz und zeigt auf, daß ihr einziges Ergebnis Stress ist. (Vgl. T-2.IV.5:7) Man tut, was man nicht wirklich tun will (nett sein) und tut das nicht, was man gerne wollte (töten). »Das löst ein Gefühl von Zwang aus, welches gewöhnlich Wut erzeugt, und darauf folgt mit einiger Wahrscheinlichkeit Projektion« (T-2.IV.5:7). Überraschung! Dieses ist in der Tat nur eine andere Form von Verleugnung. Es ist nicht komplette Verleugnung, weil du dir wenigstens deines Ärgers bewußt bist; es ist Verleugnung auf der Verhaltensebene, während du versuchst, die Emotion unberührt zu lassen. Es produziert die Art von Wut, die sich plötzlich als Gewalt entladen kann, nachdem sie über Jahre hinweg in der Flasche verschlossen war.
Du kannst schlichtweg das Ego nicht berichtigen oder es nett machen. Um von unserer Besonderheit zu sprechen, die ein Schlüsselaspekt des Egos ist, sagt der Kurs: »Sie wird nie Versöhnung üben, weil sie ein geheimer Schwur ist, daß das, was GOTT für dich will, niemals sein wird und daß du dich für immer SEINEM WILLEN widersetzen wirst.« (T-24.III.4:6). Das Ego ist das Ego; du kannst es nicht ändern. Es wird für immer und ewig nichtvergebend bleiben; es wird immer angreifen; es wird immer versuchen, auf Kosten anderer zu gewinnen; es sucht immer unseren Tod. »Das Ego will, daß du tot seist« (T-15.I.3:3).
Wenn wir es nicht ändern können, was können wir dann tun? Viele von uns überfällt hier ein Gefühl tiefer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Nach monate- oder jahrelangen Versuchen, unser Ego zu ändern, uns selbst zu erziehen und das Ego mit einem Anstrich von Zivilisation zu bemänteln, entdecken wir, daß es ungehindert weitermacht. Wir dachten, wir hätten all seine Hintertürchen verschlossen, aber das Ego findet eine Lücke und schlüpft hindurch, alles verderbend (und unser nettes Image zerstörend). Das Ego scheint nicht zu stoppen zu sein, und wir fühlen uns wie totale Versager.
Ohne zu realisieren, was wir tun, identifizieren wir uns immer noch mit dem Ego. Das Ego hat überhaupt keine Macht, falls wir ihm diese Macht nicht geben. Der einzige Grund, weshalb das Ego noch aktiv ist, ist, weil wir es aktiv haben wollen; es bezieht all seine Macht von uns. Die Verzweiflung ist noch immer eine Vertuschung, prätentiös, eine andere Art von Verleugnung, eine Art zu sagen: »Ich kann mir nicht helfen, ich bin ein Opfer meines eigenen Egos«.
Gegen das Ego kämpfen
Eine Erweiterung der vorgenannten fehlerhaften Reaktion, das Ego zu korrigieren, besteht darin, es zu bekämpfen, versuchen es auszumerzen. In der Erkenntnis, daß das Ego nicht zu bändigen ist, entscheiden wir uns, es zu töten. Natürlich ist dies eine Form von Angriff, die nicht funktionieren wird!
Dieses nimmt oft eine Form von fieberhafter Spiritualität an. In alten Zeiten pflegten Mönche täglich stundenlang ihre Körper mit Peitschen zu traktieren, im Versuch, den Teufel und die Fleischeslust herauszuschlagen. In modernen Formen des Christentums ist, wenn auch die Geißeln verschwunden sind, noch immer viel die Rede von dem »Kampf« zwischen Fleisch und Geist, von der Notwendigkeit, das Fleisch zu unterwerfen, das Selbst zu opfern und der Welt zu »entsagen«. In New-Age-Kreisen scheint unser Kampf gegen das Ego ein bißchen mehr in den Untergrund gewandert zu sein, gewöhnlich die Form von besessenem spirituellem Suchen annehmend: wir hasten von einem Workshop zum anderen, von einem Buch zum nächsten, von einem Guru zum nächsten. Wenn wir auch die Kriegsterminologie hinter uns gelassen haben, ist unser spirituelles Suchen doch durchdrungen von einem Gefühl von Anstrengung und Frustration.
Eine Form, die unser Kämpfen gegen das Ego annimmt, ist exzessive Selbstdisziplin; wir versuchen, uns selbst in die Spiritualität zu zwingen. Kursstudenten mögen sich damit quälen, ob sie die Lektionen des Übungsbuchs korrekt durchführen oder nicht. Wir mögen uns selbst zu dem verzweifelten Bemühen bringen, häufiger, regelmäßiger und für längere Zeit zu meditieren. Wir mögen extreme Maßstäbe anlegen, um jegliche schlechte Gewohnheit zu brechen. Und gewöhnlich ist das ganze Unternehmen umgeben von einer dunklen Wolke von Schuld, von nicht genug tun, nicht gut genug sein, nicht schnell genug fortschreiten; durch alles zieht sich ein Hauch von trauriger Verzweiflung.
Der Kurs betont die Notwendigkeit geistiger Wachsamkeit und fleißiger Praxis für uns. Das Übungsbuch enthält Passagen von Ermahnungen, die täglichen Lektionen nicht zu vergessen, und strebt eindeutig an, uns eine beständige geistige Disziplin einzuschärfen. Und doch gibt uns der Kurs, nachdem er uns im Rahmen seiner praktischen Instruktionen durchaus darauf hingewiesen hat, wie notwendig tägliches Üben ist, einen Rat, den wir alle brauchen:
»Und wenn du feststellst, daß der Widerstand stark ist und die Hingabe schwach, dann bist du nicht bereit. Bekämpfe dich nicht selbst« (T- 30.I.1:6,7).
Er sagt uns, daß wir den Ort des inneren Friedens »Nicht durch Zerstörung, nicht durch ein Ausbrechen, sondern einfach durch ein stilles Verschmelzen« (T-18.VI.14:6) finden. Der Kampf gegen das Ego läßt es einfach noch realer erscheinen. Er stärkt das Ego, anstatt es zu schwächen. Der Versuch, spirituelles Wachstum zu erzwingen, ist kontraproduktiv. Der Weg zum Frieden kann nicht durch Druck gefunden werden.
»Oft scheint es, als gäbe es da zwei opponierende Selbste, gefangen in tödlichem Kampf. Der Körper existiert in einer Welt, die zwei um seinen Besitz kämpfende Stimmen zu enthalten scheint« (T- 8.VIII.2:1).
Wir fühlen uns mittendurch gespalten. Ich erinnere mich an das Diagramm einer christlichen Sonntagsschule für Erwachsene, das den Konflikt zwischen Fleisch und Geist versinnbildlichen sollte. Es zeigte einen Mann, an jeden Arm ein Seil gebunden, daran zwei Esel, die in entgegengesetzte Richtung zogen. Welch ein perfektes Bild von Folter, das diese Sicht von uns selbst bringen kann! Wir fühlen uns, als seien wir entzweigerissen, und wenn das »Fleisch« nicht verschwinden will, wünschen wir uns, daß der Geist es täte.
Obwohl du ein Selbst bist, erlebst du dich als zwei; als gleichzeitig gut und böse, liebend und hassend, Geist und Körper. Dieses Empfinden, in Gegensätze gespalten zu sein, induziert Gefühle von akutem und dauerhaftem Konflikt und führt zu rasenden Versuchen, die widersprüchlichen Aspekte dieser Selbstwahrnehmung in Einklang zu bringen. (W-I.96.1:1-2).
Der Kurs versichert uns: »Du bist nicht zwei Selbste, die miteinander in Konflikt sind« (T-16.III.6:1). Er sagt:
»Zwei Selbste können nicht gelöst werden, und Gut und Böse haben keine Stätte der Begegnung. Das Selbst, das du gemacht hast, kann nie dein SELBST sein, noch kann dein SELBST entzweigespalten werden und trotzdem bleiben, was ES ist und ewig sein muß.« (W-I.96.3:2,3)
»Das Selbst, das du gemacht hast« ist, natürlich, das Ego. Es ist nicht dein SELBST. Und dein wahres SELBST kann nicht »entzweigespalten werden«. Wir werden zu affirmieren gelehrt: »Ich bin ein SELBST, vereint mit meinem SCHÖPFER« (L95). Da findet kein Konflikt statt, außer auf seiten des Ego. Die Illusion ist in Konflikt mit der Wahrheit, die Wahrheit jedoch ist mit nichts in Konflikt, sie ist einfach.
Da ist keine Notwendigkeit, das Ego zu bekämpfen. Wenn du es nicht unterstützt, wird es still zu Staub zerfallen; es hat aus sich selbst heraus keine Macht. Es zu bekämpfen heißt, es zu unterstützen. Wenn du dir deines Ego gewahr wirst, fühlst du eine Art Knoten in deinem Geist, ein Empfinden von Panik, einen Terror, den du nicht glaubst loswerden zu können? Kriechst du geistig zu Kreuze und denkst: »Oh, GOTT! Ist mein Ego schon wieder dabei?« Falls ja, kannst du sicher sein, daß du an der Krankheit, das Ego zu bekämpfen, leidest.
Wann immer wir uns in Konflikt mit unserem Ego fühlen, handelt es sich in Wahrheit um nichts anderes als um zwei Illusionen, die einander bekämpfen, verschiedene Aspekte des Ego in einen Scheinkampf verwickelt. Wir sind gänzlich in der Ego-Arena. GEIST hat es nicht nötig, zu kämpfen oder sich zu verteidigen. Die STIMME für GOTT ist eine stille Stimme des Friedens.
Der Kurs weist uns an: »Räume dem Ego nie die Macht ein, die Reise zu behindern« (T-8.V.6:4). Wenn wir aus dem Kampf aussteigen, kann das Ego uns nicht zurückhalten. Es ist eine leere Drohung. Wir können ihm zulächeln, amüsiert über sein Gebaren, und weitergehen.
Das Ego lieben
Eine sehr beliebte Form falscher Annäherung an das Ego, besonders in New-Age-Kreisen, ist, das Ego zu lieben. In diesem Ansatz wird das Ego mit unserem verwundeten inneren Kind verwechselt, das nur geborgen und geliebt sein will - und Nachsicht gegenüber seinen Anfällen und kindischen Begierden möchte. Ich beabsichtige nicht, die Arbeit mit deinem inneren Kind herabzusetzen. Das kann außerordentlich wertvoll sein, wie ich aus persönlicher Erfahrung weiß. Das Ego, jedoch, ist nicht dein inneres Kind. Das Ego ist nicht dein Freund (T-15.1:3:1,3), und es betrachtet deinen Geist als seinen »Feind« (T-4.III.3:1). Es ist nicht bloß verletzt und verwirrt, es ist mörderisch wahnsinnig (T-7.III.2:6), ein geistesgestörter Killer, versessen auf Rache (T-16.VII.3:1,2).
Die Attitüde der sanften Vergebung und des Fehlens von jeglicher Verdammung, die wir gegenüber unserem inneren Kind zeigen mögen, ist ebenfalls angemessen in bezug auf das Ego. Das Ego nicht zu beurteilen ist eine Schlüsselkomponente zur richtigen Umgehensweise mit ihm. Aber Toleranz, im Sinne von Verzeihen und Zustimmung zum Ego-Denken ist nicht angemessen. Unser Ziel im Umgang mit dem Ego muß sein, uns von ihm zu lösen, seinen Platz in unserem Geist zu verneinen und es abzulehnen, seinen Haß als einen wertvollen Teil unserer Identität zu akzeptieren. Unsere Identität ist Liebe, nicht Haß und Furcht.
Wir schauen auf des Egos Ärger, Furcht und Haß, und wir sagen: »Das muß nicht sein« (T-4.IV). Unsere Haltung ihm gegenüber ist weder Haß noch Liebe, sie ist neutral. Wir betrachten das Ego weder als gut noch als schlecht. Wir sehen vielmehr, daß das Ego schlicht bedeutungslos ist:
»Doch muß jede Versuchung, Magie als wahr zu akzeptieren, aufgegeben werden durch [unsere] Einsicht, nicht daß sie furchterregend ist, nicht daß sie sündig ist, nicht daß sie gefährlich ist, sondern einfach, daß sie bedeutungslos ist.« (M-16.10:8)
Anstatt das Ego zu lieben, indem wir ihm verzeihen, werden wir gelehrt, ihm gegenüber in unserem Geist zunehmend intolerant zu werden:
»Halte in deinem Geist Ausschau nach den Versuchungen des Ego, und laß dich von ihm nicht täuschen. Es bietet dir nichts. Wenn du erst einmal aufgehört hast, dir freiwillig so die Inspiration zu nehmen, wirst du feststellen, wie dein Geist sich sammeln, sich über die Erschöpfung erheben und heilen kann. Doch bist du den Forderungen des Ego gegenüber nicht genügend wachsam, um dich von ihnen loszumachen. Das muß nicht sein« (T-4.IV.6:1-4).
Die wahre Lösung
Unser Problem ist falsch verstandene Identität. Wir haben uns mit dem Ego identifiziert und denken, wir sind das Ego. Dies können wir nicht verleugnen. Wir können es nicht kurieren, indem wir dem Ego freie Herrschaft überlassen. Wir können das Ego nicht zähmen, noch können wir es bekämpfen. Was also können wir tun? Wie ist dieser Fall von falsch verstandener Identität zu lösen und unsere wahre IDENTITÄT in CHRISTUS unserer Wahrnehmnung zurückzuerstatten?
Verantwortlichkeit
Der erste Schlüsselschritt ist Verantwortlichkeit. Wir müssen willens werden, für unsere eigenen Egos verantwortlich zu sein.
»Fürchte dich nicht vor dem Ego. Es ist von deinem Geist abhängig, und so, wie du es machtest, indem du an es glaubtest, kannst du es dadurch auflösen, daß du den Glauben an es zurücknimmst. Projiziere die Verantwortung für deinen Glauben an es nicht auf irgend jemand anderen, sonst wirst du den Glauben beibehalten. Wenn du bereit bist, die alleinige Verantwortung für die Existenz des Egos zu übernehmen, dann hast du allen Ärger und allen Angriff abgelegt, weil sie aus dem Versuch herrühren, die Verantwortung für deine eigenen Irrtümer zu projizieren.« (T-7.VIII.5:1-4)
Ärger und Angriff also - die augenfälligsten Zeugnisse für das Ego - sind einfach ein Weg, wie unser Geist versucht, Verantwortung für das Ego von der Hand zu weisen. Wenn wir bereit sind, für es verantwortlich zu sein, werden Ärger und Angriff nicht mehr da sein. Verantwortlich sein meint, schlicht und einfach, daß wir aufhören, die Schuld für das Ego auf irgend etwas außerhalb von uns selbst zu schieben, seien das Umstände (»Ich habe Depressionen, weil mein Chef mich heute gefeuert hat«), oder andere Leute (»Ich bin ärgerlich, weil sie sich mit jemand anders trifft«), oder GOTT (»Warum ließ GOTT es zu, daß mein Freund krank wurde und starb?«). Lektion 70 im Übungsbuch macht sehr klar, »...daß nichts außerhalb von dir dich verletzen oder deinen Frieden stören oder dich in irgendeiner Weise aufregen kann« (W-I.70.2:2).
Der Beginn der Weisheit ist, laut Kurs, zu realisieren, daß »...du dir dieses selber antust« (T-27.VIII.10:1). Wenn mein Ego aufbraust, tue ich das, nicht irgend etwas oder irgend jemand außerhalb von mir. Ich bin verantwortlich für mein eigenes Ego. Niemand anderes in meinem Geist denkt Ego-Gedanken. Nur ich.
Sind wir erst einmal willig, Verantwortung für das Ego zu übernehmen, können wir gefahrlos beginnen, es zu beobachten. Du kannst ein Problem nicht lösen, wenn du nicht gewillt bist, es zu sehen. Angenommen, ich brause plötzlich ärgerlich auf und sage schroffe Worte zu jemandem, der mir nahe ist. Wenn ich der anderen Person die Schuld für diesen Ärger gebe, indem ich ihr Verhalten zum Grund meines Ärger mache, kann ich mein Ego noch nicht einmal sehen. Alles, was ich sehe, ist »deren Sünde«. Falls ich willens bin, verantwortlich zu sein, zu verstehen, daß ich aus irgend einem wahnsinnigen Ego-Grund gewählt habe, ärgerlich anstatt liebevoll zu sein, dann und nur dann werde ich in der Lage sein, meine eigene lieblose Wahl heilen zu lassen. Und nur dann wird der HEILIGE GEIST in die Lage versetzt, mir den Ruf nach Liebe in meinem Bruder zu zeigen, genau an der Stelle, wo ich Angriff wahrgenommen habe.
Beobachtung
Obwohl ich also allein verantwortlich für das Ego bin, ist das Ego nicht ich. Ich bin der Denker, der die Ego-Gedanken denkt, aber ich bin nicht diese Gedanken. Dies ist eine entscheidende Differenzierung, weil es den Weg zur Freiheit von Schuld öffnet. Es erlaubt mir, das Ego innerhalb meiner selbst zu beobachten und Verantwortung für es zu übernehmen, ohne schuldig für es zu sein. Ich habe das Ego gemacht, und deshalb kann ich es auflösen. Ich kann vom Ego zurücktreten und sagen: »Dieses ist nicht, was ich will. Es ist ein Fehler. Ich wähle jetzt anders.« Wie Ken Wapnick so oft gesagt hat, der ganze Schlüssel zum Kurs liegt in unserer Fähigkeit, unsere eigenen Egos ohne Urteil anzuschauen.
Die Irrtümer des Egos sind genau dies: Irrtümer und nicht Sünden. »SOHN GOTTES, du hast nicht gesündigt, aber du hast dich sehr geirrt« (T-10.V.6:1). Es ist entscheidend, daß wir das Ego ansehen, klar seine Fehler sehen und für sie Verantwortung übernehmen. Es ist gleichermaßen entscheidend, daß, indem wir so vorgehen, wir Fehler nicht als Sünden auffassen und so uns selbst schuldig machen. Wenn wir glauben, wir seien das Ego, ist Schuld unvermeidbar. Diese klare Unterscheidung muß gemacht werden. »Ich bin verantwortlich. Ich denke diese Gedanken. Aber die Gedanken sind nicht ich. Ich sehe sie als falsch an und will sie nicht länger.« Indem ich diese Unterscheidung zwischen »ich« und dem Ego mache, kann ich diese Gedanken ohne Schuld ansehen. Sünden sind permanent; Fehler können korrigiert werden.
Das Übungsbuch weist uns an, »Sieh sie so leidenschaftslos wie möglich kommen und gehen« (Ü- I.31.3:3). »Leidenschaftslos« bedeutet »neutral« oder »losgetrennt«. Leidenschaftslose Beobachtung des Egos kann als ein sehr unsicherer Geisteszustand erscheinen, schwierig zu erwerben und aufrechtzuerhalten, besonders, wenn man neu damit beginnt. Zu lernen, nicht in unsere eigenen Gedanken involviert zu sein, ist eine Kunst; nicht etwas, das schnell gelernt werden kann. Im Versuch, ehrlich über unsere Gefühle zu sein, können wir leicht zurückfallen in das bloße Herauslassen des Egos. Anstatt einfach den Ärger von einem ruhigen Ort in unserem Geist aus zu beobachten, verlieren wir uns in ihm. Ärger zu beobachten bedeutet, von ihm getrennt zu sein, daneben zu stehen. Es heißt nicht länger »Ich bin ärgerlich«, sondern »ich habe ein Gefühl oder einen Gedanken von Ärger«. Man ist sich des Ärgers bewußt - und weiß gleichzeitig, daß man der Beobachter ist, gelöst vom Ärger und neutral ihm gegenüber.
Umgekehrt kann Beobachtung in Verleugnung absinken. Anstatt zurückzuschreiten, einfach den Ärger zu beobachten und ihn gleichzeitig sein lassen, was er ist, überagieren wir, scheuen vor ihm zurück, verniedlichen möglicherweise seine Wichtigkeit (und er ist wichtig, denn »Alles Denken bringt Form auf irgendeiner Ebene hervor« (T-2.VI.9:14) und täuschen uns selbst, daß der kurze Blick, den wir uns von ihm genehmigten, genug sei. Beobachtung bedeutet aber, unserer Angst und unserem Ärger gerade ins Gesicht zu sehen:
»Er muß genau so, wie er ist, gesehen werden, dort, wo gedacht wird, daß er sei, in jener Wirklichkeit, die ihm gegeben wurde, und mit dem Zweck, den ihm der Geist zugewiesen hat. (W-II.333.1:3,4«
Schließlich kann Beobachtung mit Schuld verseucht werden. Schuld ist ein klarer Indikator, daß wir auf unser Ego mit unserem Ego schauen, anstatt mit Jesus oder dem HEILIGEN GEIST. »Nur das Ego kann Schuld erleben« (T-4.V.5:5). Unsere Sünden zu beklagen und uns ihretwegen ängstlich oder beschämt zu fühlen, ist nicht Beobachtung - es ist Selbst-Verurteilung. Wahre Beobachtung wird ohne Verurteilung getan. Dies ist praktisch unmöglich ohne die Assistenz oder die liebende Gegenwart des HEILIGEN GEISTES. Sein Licht allein kann unsere Dunkelheit hinwegleuchten.
»Was du aber verbirgst, das kann ER nicht betrachten. ER sieht für dich, und wenn du nicht mit IHM schaust, kann ER nicht sehen. Die Schau CHRISTI ist nicht für IHN allein, sondern für dich mit IHM. Bringe IHM deshalb alle deine dunklen und geheimen Gedanken und schaue sie mit IHM an. Er hält das Licht, und du die Dunkelheit. Sie können nicht zugleich bestehen, wenn IHR sie beide gemeinsam anseht.« (T-14.VII.6:5-10)
Wenn ich ruhig mein eigenes Ego beobachte, ohne Urteil, habe ich mich bereits vom Ego freigemacht. Das Ego kann sich selbst nicht sehen; wenn ich es sehe, muß »Ich« etwas anderes als das Ego sein! Der Kurs beschreibt diese Fähigkeit, sich selbst vom Ego zu trennen, als etwas Entscheidendes: »Das ist eine entscheidende Phase in diesem Kurs, denn hier muß nun die Trennung zwischen dir und dem Ego vollständig gemacht werden« (T22.II.6:1). Das Ego glaubt, es zu ändern sei unmöglich und ebenso unmöglich sei es, dich (und jeden) als hundertprozentig unschuldig anzusehen. Was du bist, weiß, daß es möglich ist. Vom Gesichtspunkt des Ego aus ist keine andere Reaktion als Ärger möglich, und keine andere Antwort auf den eigenen Ärger als Schuld ist angemessen; dein SELBST weiß, daß nur Liebe, nicht Ärger, gerechtfertigt sein kann, und keine andere Antwort auf Ärger als Liebe ist wahrhaft möglich, denn dein SELBST ist Liebe. Wenn du dich selbst von deinem Ego lösen kannst, kannst du stehenbleiben, es anschauen und sagen: »Dies ist nicht, was ich will, und es liegt in meiner Macht, anders zu wählen.«
Du kannst das Ego mit einem sanften Lächeln anstelle einer mißbilligenden Verdammung betrachten. Du kannst sehen, daß Ärger ein lachhafter Fehler ist, ein fehlerhafter Problemlösungsansatz, und nicht irgendein böswilliger Gifthauch auf deiner Seele. Es ist ein Irrtum, den es liebevoll zu korrigieren gilt, nicht eine dämonische Habe, die Hölle und Tod verdient. Du wirst sehen, daß die Antwort deines Ego von dem Glauben herrührt, daß es möglich ist, sich von GOTT zu trennen, etwas anderes zu sein als die Liebe, als die dich GOTT geschaffen hat. Du wirst erkennen, wie unmöglich das ist, und du wirst dich mit dem HEILIGEN GEIST im Lachen über diese drollige Idee vereinen.
»Mit sanftem Lachen nimmt der HEILIGE GEIST die Ursache wahr und schaut nicht auf Wirkungen. Wie könnte ER deinen Irrtum sonst berichtigen, der du die Ursache ganz übersehen hast? ER heißt dich, jede fürchterliche Wirkung IHM zu überbringen, damit IHR gemeinsam auf ihre törichte Ursache schauen und du eine Weile mit IHM lachen mögest. Du beurteilst Wirkungen, doch ER hat ihre Ursache beurteilt. Und durch SEIN Urteil werden Wirkungen beseitigt. Vielleicht kommst du in Tränen. Doch hör IHN sagen: »Mein Bruder, heiliger SOHN GOTTES, sieh deinen nichtigen Traum, in dem dieses geschehen konnte.« Und du wirst den heiligen Augenblick verlassen, in dem dein Lachen und das deines Bruders sich mit dem SEINEN verbunden hat.« (T-27.VIII.9:1-8)
Vergebung
Und so bewegen wir uns zu dem letztendlichen Schlüssel zum Umgang mit dem Ego, dem Ziel, zu dem uns Verantwortlichkeit und Beobachtung hinaufgeführt haben: Vergebung.
Wenn wir in der Lage sind, Verantwortung für das Ego zu übernehmen und es ohne Urteil zu betrachten, werden wir in der Lage sein, unseren Ärger und unsere Angst als einen Ruf nach Liebe zu verstehen. Warum ärgere ich mich über meinen Ehepartner? Weil ich ihre bzw. seine Handlungen als lieblos wahrnehme, und ich möchte geliebt werden. Im Wahne meines Ego glaube ich irgendwie, daß Ärgerlichwerden, Angriff und Schuldzuweisung die Liebe hervorbringen werden, die ich so sehr ersehne. Natürlich kann Angriff nur Angriff hervorbringen; meine Handlungen sind wahnsinnig. Aber es ist ebenfalls wahnsinnig, mich für mein Verhalten schuldig zu fühlen, es ist, in Wahrheit, nichts anderes als ein Ruf nach Liebe. Eine fehlgeleitete Form, nach Liebe zu rufen, - aber dessen ungeachtet ein Ruf nach Liebe.
Der Kurs beharrt darauf, daß alles letzlich in zwei Kategorien fällt: Entweder Liebe - oder ein Ruf nach Liebe. Indem wir für unsere Egos verantwortlich werden und beginnen, sie zu betrachten, lernen wir, jede Manifestation des Ego als eine Form des Rufes nach GOTT neu zu interpretieren: »Sieh im Ruf des Hasses und in jeder Phantasie, die aufsteigt, um dich aufzuhalten, allein den Hilferuf, der unaufhörlich von dir zu deinem Schöpfer aufsteigt.« (T16- IV.11:6) Vielleicht bestehst du weiter darauf, kitschig-romantische Liebesbeziehungen einzugehen, auf der Suche nach jemandem, der dich glücklich macht; vielleicht bemerkst du dein ständiges Verlangen, immer mehr »Dinge« anzuhäufen. Vielleicht hast du ein hitziges Temperament. Wenn du willens bist, Verantwortung für diese Dinge zu übernehmen (Zitat: Ich tue dieses nur mir selber an)), und sie einfach nichtwertend zur Kenntnis nimmst, kommt das Urteil des HEILIGEN GEISTES, um dein eigenes zu ersetzen. Du wirst anfangen zu sehen, daß jedes dieser Dinge ein Hilferuf ist, ein Verlangen nach Erfüllung, eine Sehnsucht nach Liebe. Der Ruf, das Verlangen, die Sehnsucht sind nicht falsch! Die angewandten Mittel sind fehlerhaft, das ist alles. Wie kannst du dich selbst dafür verdammen, daß du um Hilfe rufst? Deine sogenannten »Sünden« sind in Wahrheit Gebete von dir zu GOTT, und sie sagen : »Hilf!«
Du bist nicht das Ego. Du bist der heilige Sohn GOTTES, der seine IDENTITÄT vergessen hat, der um Hilfe schreit auf die einzige Weise, die ihm bis jetzt bekannt war. Du hast dich selbst überzeugt, daß Angriff dir das beschaffen kann, was du dir wünscht, daß Angriff dir zu Liebe und Erfüllung verhelfen könnte. Jetzt erkennst du, daß du fehlgeleitet warst. Aber du siehst auch, daß du die Macht hast, eine neue Wahl zu treffen. Du erkennst, daß all deine Irrtümer nichts daran geändert haben, wer du bist. Du bist noch immer GOTTES geliebter und liebender SOHN. Indem du dich mit der Liebe identifizierst, wirst du deine wahre Sicherheit und Erfüllung finden.
»Du wirst dich mit dem identifizieren, von dem du denkst, daß es dich sicher machen wird. Was es auch immer sein mag, du wirst glauben, daß es mit dir eins ist. Deine Sicherheit liegt in der Wahrheit, nicht in Lügen. Die Liebe ist deine Sicherheit. Die Angst existiert nicht. Identifiziere dich mit der Liebe, und du bist sicher. Identifiziere dich mit der Liebe, und du bist zu Hause. Identifiziere dich mit der Liebe, und finde dein SELBST.« (Ü-II.5.5:1-7)